Sonntag, 15. Juni 2014

Sonntag, 15. Juni - Der Abschied naht

Früh morgens geht es los in Richtung Tel Aviv, wo uns der letzte Abschnitt unserer Reise - das moderne Israel- erwartet. Doch zuvor erhalten wir eine interessante Führung durch das Herzstück der israelischen Demokratie, die Knesset.

Gruppenbild vor der Menorah gegenüber dem Knesset-Gebäude in Jerusalem
Dem Knessetgebäude gegenüber steht eine bronzene Menorah als Symbol des Staates. Die Menorah wurde als Kultgegenstand im Tempel verwendet und geht im Gegensatz zum Davidstern auf biblische Zeiten zurück. Das andere Symbol, die Flagge, symbolisiert einen Gebetsmantel (Talit), den der gläubige Jude zum Gebet anlegt und in dem er auch begraben wird. Dies alles, obwohl sich ein großer Teil des israelischen Volkes nicht als religiös versteht. Immer wieder werden Fragen nach der Definition von Nation und den Kriterien von Religion und Tradition sowie den Bedingungen von Demokratie und dem Umgang mit Minderheiten gestellt. Die israelische Demokratie ist mit einer Sperrklausel von 2% (bis 1992 sogar nur 1%; seit 2014 jetzt 3,25 %) in dieser Hinsicht  demokratischer als das Grundgesetz mit 5 %, aber möglicherweise weniger stabil in der Regierungsbildung. Immerhin hält das Bundesverfassungsgericht eine Sperrklausel von 3 % bei den Europawahlen für verfassungswidrig (undemokratisch?), mit der Begründung dass das Europaparlament keine Regierung zu wählen hat. Dies zeigt, dass demokratische Prinzipien durchaus auch pragmatischen Überlegungen gegenüber offen sein müssen, um Bestand zu haben. Max Weber sprach von Verantwortungsethik und Gesinnungsethik.


Sitzungsraum eines Knessetausschusses
Das Knessset-Plenum
Wir werden in die Tagungsräume der Parlamentsausschüsse und des Plenums geführt. Besonders beeindruckt uns die Halle der Knesset, die mit Kunstwerken (Wandteppich sowie Wand- und Fußbodenmosaik) von Marc Chagall ausgestattet ist. "Der einzige Ort der Welt, wo Sie ungestraft über ein Chagall Mosaik gehen dürfen." so unser jugendlicher, deutschsprachiger Führer, der aus Frankfurt stammt, als Jude in der israelischen Armee gedient hat und nach seinem Studium der Politikwissenschaft Diplomat werden möchte. In der Halle wird uns die Unhabhängigkeitserklärung erläutert sowie die Tatsache, dass Israel bis heute nur Grundgesetze aber keine Verfassung hat. Immer wieder entzündet sich die Frage nach dem Grundverständnis Israels als jüdischer Staat.

Wandteppich von Marc Chagall in der Knesset-Halle
Nach einer etwa einstündigen Fahrt besuchen wir In Tel Aviv das Diaspora-Museum, das uns in die Alltagsgebräuche der jüdischen Minderheiten weltweit einführt und der Geschichte des jüdischen Volkes gewidmet ist. Selbstverständlich ist damit auch die Frage nach der Definition: Was ist jüdisch? verbunden.
Disapora-Museum: die römischen Truppen Plündern den zweiten Tempel
Diese Frage beantwortet mir Moshe Granot, der als Jugendlicher auf der Flucht vor Antisemitismus aus Rumänien nach Israel eingewandert ist. Er ließ sich vor Jahren mit dem jüdisch-orthodoxen Chemienobelpreisträger und Herausgeber der hebräischen Enzyklopädie Jeshaijahu Leibowitz auf eine wissenschaftlich-theologische Auseinandersetzung gegen die religiöse und für eine zionistische Begründung des Staates Israel ein. Er sieht Israel als einzigen und potentiell gefährdeten Zufluchtsort für unterdrückte jüdische Minderheiten in anderen Ländern.

Tel Aviv, Stadt der Wolkenkratzer am Mittelmeer: Azrieli Center:


Der Nachmittag bringt uns die Möglichkeit zum Entspannen, Baden im Meer oder Kennenlernen des alten Hafens von Tel Aviv, bevor wir uns aufmachen vom, arabischen Jaffa aus die Skyline der Altneustadt (so die Übersetzung von Tel Aviv in Anlehnung an Theodor Herzl Buch Altneuland) zu genießen.
Blick vom Hotel



Am Abend treffen wir die Zeit-Korrespondetin Gisela Dachs bei Raouf & Atina in Jaffa und speisen dazu exzellente Salate sowie Fisch nach Wahl.

Gisela Dachs gelingt es, den aktuellen Fall der Entführung dreier Jugendicher im Westjordanland in die Situation vor Ort seit der Bildung der Koalitionsregierung zwischen der Hamas und der Fatah vor wenigen Wochen einzuordnen. Journalistisch beschreibt sie die Fakten, dass nämlich die Entführung in der von Israel kontrollierten C-Zone stattfand, aber nun die Frage nach der Haltung und dem Einfluß des palästinensischen Präsidenten Mahmud Abbas auf die Hamas sowie das Vorgehen der israelischen Sicherheitskräfte im Zentrum stehen. Sie beschreibt die komplexe Situation in Israel, indem sie darauf hinweißt, dass viele israelische Araber beispielsweise den Staat Israel ablehnen, weil sie sich als Bürger zweiter Klasse fühlen, gleichzeitig aber einer Zuordnung ihres Gebietes, wie es vom israelischen Außenminister Avigdor Lieberman gefordert wurde, zu einem neuen Palästinenserstatt ablehnen. Sie begründet die israelische Siedlungspolitik mit der innenpolitischen Lage und dem Zusammenhalt der Koalition und führt aus, dass häufig der Bau von Siedlungen sogar mehrfach verkündigt wird, um innenpolitisch zu punkten, was außenpolitisch aber desaströs wirkt. Langfristig sieht sie eine Gefahr in der Delegitimation Israels. Hätte sie drei Wünsche frei, würde sie sich eine sichere politische Grenze für Israel wünschen und darauf alle drei Wünsche konzentrieren. Damit sieht sie die Sicherheitsfrage nach wie vor als zentrale Frage des Konflikts an. Hätte Israel nicht eine dominierende Position in der Region, gäbe es kein Pardon und es würde von der Landkarte verschwinden. Dies ist eine Einschätzung, die allgemein auch von arabischer Seite so gesehen würde. Wieder einmal wird klar, dass einfache Aussagen der komplexen Lage nicht gerecht werden: Wird die Sicherheitsfrage als Vorwand für die Stärke der Armee, die Siedlungen und die Unterdrückung der Palästinenser verwendet oder schätzen unbetroffene Außenstehende, möglicherweise leichtfertig, die existentiell bedrohte Lage Israel -mutwillig oder naiv- falsch ein?
Gesprächsrunde mit der Zeit-Korrespondentin Gisela Dachs (unten 3. von links)

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